Henley, Tag 2

Ich glaube, so tierisch aufgeregt war ich schon lange nicht mehr vor einem Rennen. Man könnte auch sagen: so vorfreudig. Die Minuten, bis ich endlich ablegen darf, ziehen sich endlos in die Länge. Ein Blick ins Programmheft macht mich noch etwas nervöser: meine Gegnerin, Pippa Whittacker vom Imperial College in London, wiegt knappe 3 Stones mehr als ich. Also ein echtes Schwergewicht. Nichtsdestotrotz freue ich mich einfach riesig darüber, vor dieser krassen Kulisse rudern zu dürfen - auch, wenn an diesem morgen (mein Rennen startet um 9:20) noch nicht die Massen das Ufer säumen, die es gegen Mittag noch werden sollen.
Alex, der Frauencoach aus Newcastle, steht am Eingang des Boat Tents um mir Glück zu wünschen und freut sich sehr über Tobi's spontane Einladung, ihn mit aufs Umpire Boat zu nehmen (eine schöne Besonderheit der Henley Regatta: pro teilnehmendem Boot dürfen drei Leute auf dem Schiedsrichterboot mitfahren, um das Rennen aus nächster Nähe anzuschauen. Reden dürfen sie aber nicht, genausowenig Pfeifen, Winken, oder den Sportlern irgendwelche Zeichen geben.)


Nachdem ich im kurvigen Warmfahrbereich einmal fast das Skull an einer Boje hängen gelassen hätte und man die Startbrücke maximal weit nach vorne geschoben hat ("Your boat is very tiny!") geht es auch schon los. Überraschenderweise liege ich gleich vom Start weg vorn und kann den Abstand über die - insbesondere bei Gegenwind - ewig lange Strecke auch noch ausbauen. Ansonsten lassen wir zum Rennverlauf am besten die Bilder sprechen, mein heutiges Rennen gibt's nämlich auch auf Youtube zu sehen. Im Übrigen mit erstklassiger Reportage der beiden worldrowing-Moderatoren und Fernsehbildern, die man in der Qualität oftmals noch nicht mal für die WM bekommt.

In den Zeiten, in denen auf dem Schiedsrichterboot geredet werden darf, findet Tobi noch allerlei interessantes und kurioses über die Henley Royal Regatta heraus. Etwa, wie das voll analog-mechanische Anzeigesystem funktioniert: in der Stewards Enclosure sitzt einer mit Fernglas und zwei Modellbooten, die er auf einer Tafel hin- und herschieben kann, um den aktuellen Abstand anzuzeigen. Den weiß er, weil an jedem Zwischenposten, sobald die Ruderer vorbeigefahren sind, zwei Tafeln in der Reihenfolge, in der die Ruderer vorbeigefahren sind, hochgezogen werden. Je nach Abstand an der Markierung werden auch die Tafeln unterschiedlich weit hochgezogen. Nachdem aber nicht ganz so viel Platz auf der Anzeige ist, ist alles über vier Längen Vorsprung nur noch als "easily" zu bezeichnen. Eine ähnliche Anzeige gibt es auch für die Zwischenzeiten.

A propos easily: morgen, im Viertelfinale, treffe ich auf eine der Silbermedailliengewinnerinnen der Rio-Olympiade im Frauendoppelvierer. Bin gespannt, wie lange ich sie ärgern kann. Drückt mir die Daumen!



Henley, Tag 1

oder: wie Tobi und Judith gar nicht mehr aus dem Staunen herauskamen.

Nachdem Tobi es immerhin geschafft hatte, mich bis 6 Uhr im Bett zu halten, haben wir den Tag mit einem gemütlichen Frühstück und ich für meinen Teil mit einer Runde Yoga begonnen, bevor wir begannen, darauf zu warten, dass wir endlich los dürfen.
Der Bus fuhr nämlich erst um 8:45... aber von wo nur? An der Friar Street gibt's sooo viele Bushaltestellen. Aber die Engländer sind ja nett und hilfsbereit. So auch der Busfahrer, von dessen Ausführungen wir aufgrund des heftigen Akzents zwar nur die Hälfte verstanden, der aber eingehend für uns den Tarifplan studierte, um das günstigste Wochenticket zu finden. Ganz unfreundlich wurde er allerdings an der nächsten Haltestelle: wer den Bus nicht zu sich herwinkt, muss nämlich in England davon ausgehen, dass der auch nicht anhält. Der Mann hat Prinzipien, das muss man ihm lassen.


Nach einer guten halben Stunde gegurke über super schmale Landsträßchen kamen wir dann auch in Henley an. Den Weg zur Regattastrecke zu finden war dann auch ein Kinderspiel. Dort gab es erstmal einen Haufen organisatorischen Krempel zu erledigen: beim Badge Office gab's leider nur noch Pappkärtchen statt der Metallbadges für die Stewards Enclosure - Na ja, Hauptsache ich komme erstmal rein. Seit dem Weigh-In weiß ich nun auch ganz offiziell, dass ich 9 Steine und 5 Pfund wiege. (Sehr komische Sache, wenn auf der Waage plötzlich eine 9 vorne steht....)  Beim Boat Tent Official gab es Startnummer, Aufkleber und Umweltschutzplakette (ich darf jetzt mit meinem Boot auch durch die Umweltzone, cool, oder?) sowie eine ausführliche Beschreibung, wo ich mein Boot zu lagern habe. Musste nur noch das Boot gefunden werden. Nach einigem Gelaufe haben wir den passenden Anhänger gesichtet und das Boot aufgerrigert um es sodann im Boat Tent an den passenden Platz zu legen.
Dann hieß es: Warten auf den Luncheon. Und was macht man am besten, um auf den Lunch zu warten? Genau, man holt sich was zu Essen! Cappucchino und Waffel mit Erdbeeren und Sahne. Und dazu Leute gucken: abgefahrene Hüte, mutige Farben und gewagte Mustermixe prägen den Stil des Regattaplatzes.

In der Lunchbreak ging es selbstverständlich nicht nochmal zum Essen, sondern ins Boot, Strecke angucken. Mein Kopf rotierte auf der Tour wie eine Radarantenne: sooo viele Boote (und nein, nicht so viele Ruderboote, sondern: Yachten, Motorboote, Gondeln, Schaufelraddampfer... kurzum, alles was oben schwimmt.) Und vor so vielen Zuschauern bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht gerudert.

Während ich mit Rudern beschäftigt war, zog Tobi los, um mir einen 15-Pfund-Luxus-Bootsputzlappen zu kaufen (= Handtuch mit Henley-Logo). Danach machten wir noch ein bisschen Regattatourismus: Leute gucken, Rennen gucken, Hüte gucken, Elvis zuhören, wie er on the River rollt und anschließend die passende Bushaltestelle suchen...

Morgen geht es dann auch für mich mit Rennen los. Bin schon sehr gespannt wie das wird.

How to become "acting coach"

oder: die letzte Ölung auf der Elbe.

ein Gastbeitrag von Tobi.

Montagabend, letzter Abend in Deutschland bevor unser Abenteuer in Henley startet. Trainingsbeginn erst einmal mit einer Portion Erdbeeren zur Stärkung nach einem anstrengenden Arbeitstag und für die Trainingsrunde bei ordentlichem Wind und kaputter Schleuse auf der Elbe.

Nachdem das Badge Office der Regattaleitung in Henley mich kurzerhand zum "Acting Coach" befördert hat, um mir alle Möglichkeiten zu geben, meine fiancée zu unterstützen, wird es wohl Zeit für mich, auch einmal eine aktive Rolle in ihrem Training zu übernehmen. Na ja, sind wir ehrlich: Ich hatte Schwein, dass die Briten so nett sind, Markus nicht in England dabei sein kann und ihm am Montag Abend nach aktivem Trainereinsatz auf der Holland Beker Regatta einfach die Stimme versagt hat. Also soufflierte er seine Kommandos und ich brüllte sie dann so laut es ging über die Elbe.

Was habe ich gelernt?
1. Aushebeln und Abdrehen sollen zwei getrennte Bewegungen sein.
2. Die Blätter sollen frei bleiben vom Wasser, aber auch nicht abheben wie ein Flugzeug beim Start - wenn man es, wie Markus mir ausdrücklich erlaubte, in meinen eigenen Luftfahrerworten formuliert (bis ich das geschafft hatte, hatte Judith den Fehler aber schon ganz selbstständig korrigiert.)

Was haben wir noch gelernt? "Judith, fahr' mal stehendes Blatt, dann ist das timing beim Foto machen viel einfacher."

Aber die wichtigste Lektion "Jetzt kling' doch nicht so genervt beim Brüllen!" (Was scheinbar gar nicht so leicht ist: Ich war mir jedenfalls gar nicht dessen bewusst, dass ich genervt klinge.)

Mein Fazit: Als Ingenieur mache ich eine wesentlich bessere Figur, als als Rudertrainer. Aber zumindest kann ich Judith in Henley mentalen Beistand leisten und mich um die weniger ruderlastigen Themen kümmern. (Anmerkung von Judith: also kochen, Tasche tragen, Bus raussuchen, Ferienwohnung organisieren, Rücken kraulen... Ansonsten: Gut gebrüllt, Löwe, du machst das gar nicht so schlecht.)

Mittlerweile sind wir bei typisch britischem Wetter gut in unserer Ferienwohnung in Reading angekommen, haben ein leckeres, wenn auch völlig ungesalzenes Abendessen genossen und machen uns einen Schlachtplan für die ersten Regattatage.

Die Spannung steigt, besonders beim acting coach.

We'll keep you posted.

Regatta Ratzeburg

Glück findest du nicht, wenn du es suchst, sondern wenn du zulässt, dass es dich findet. (unbekannt)
An manchen Tagen möchte man die ganze Welt umarmen.
 Ich habe die letzten Wochen nicht trainiert. Ich habe einfach nur Sport gemacht. Bin mit dem Rennrad nach Stade gefahren und mit dem Tandem (und Tobi am Lenker) um die Moselschleifen gegurkt. Wir haben gemeinsam gelernt Discofox zu tanzen. Ich habe ab und zu Yoga gemacht, war klettern und schwimmen (einmal mit und einmal ohne Kayak). Und ja, und gerudert bin ich auch. Nicht jeden Tag, und wenn ich es vorhatte und es hat doll geregnet und gestürmt, dann habe ich halt auf besseres Wetter gewartet und bin dann nicht so lange gefahren. Und einmal haben wir uns spontan mit der Trainingsgruppe in den Doppelvierer geschwungen.
Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber ich vermisse das systematische auf-einen-Wettkampf-zu-trainieren ganz und gar nicht. Noch weniger vermisse ich es mich ständig müde zu fühlen und am allerwenigsten die Bauchschmerzen, die in den letzten 1,5 Jahren mehr oder weniger Dauerzustand waren.
Nun also doch eine Regatta: Ratzeburg. Die letzten Jahre eher eine nervige Pflichtveranstaltung mit Krebsen, nicht eingefahrenen Vierern und ähnlichen Katastrophen. Dieses Jahr komme ich nach Ratzeburg und denke nur so etwas in die Richtung: Schön hier. Und so viele nette Leute! Und das völlig ohne Ironie.

Sieg am Samstag...
Irgendetwas muss sich auch gewaltig geändert haben an meiner Ausstrahlung. Es gibt an diesem Wochenende viele Leute, die auf mich zu gehen und Dinge zu mir sagen wie: "Es gefällt mir, wie du hier herumläufst." und "Du siehst glücklich aus." oder: "Du wirkst so entspannt." und natürlich "Darf ich mal den Ring sehen?" und: "Wann heiratet ihr denn?"
Das ich es an beiden Tagen auch noch schaffe, den Leichtgewichts-Fraueneiner zu gewinnen setzt dem Ganzen noch das Sahnehäubchen auf. Es waren beides Rennen auf Augenhöhe, bei denen ich ordentlich arbeiten musste, um mich abzusetzen. Wahrscheinlich hätte mir der zweite oder dritte Platz fast genauso viel Spaß gemacht. Und ich frage mich immer noch, ob das Zufall war, dass ich zur Siegerehrung am Sonntag geiles Leben gespielt bekommen habe. Hat einfach gepasst.

... und am Sonntag

Beliebteste Posts