Dortmund: gut, aber...

Der November ist nicht gerade dafür gemacht, mich zum Training zu bewegen: es ist kalt und grau. Einheiten im Boot werden selten, dafür sitze ich zweimal in der Woche auf dem Ergometer und mache viel Krafttraining. Die schnellen Sommersportler werden ja bekanntlich im Winter gemacht. Oder, wie meine Trainingskameradin Franzi das mal gelernt hat: Jeder hat sein persönliches Fitness-Milchglas, von dem er bei jedem Wettkampf einen Schluck trinkt. Und die Trainingseinheiten im Winter dienen dazu, das Milchglas möglichst voll zu machen.

Immerhin gibt es ein Ziel, auf das ich noch hintrainieren kann: wenn ich auf der Langstrecke in Dortmund eine gute Leistung abliefere, darf ich im Dezember nach Portugal ins Trainingslager. Dort wird es dann darum gehen aus vier Athletinnen einen Zweier zusammenzustellen, der dem derzeit schnellsten deutschen Duo Noske/ Müller das Olympiaticket streitig machen kann.
Quelle: Detlef Seyb/ rudern.de
Also erstmal auf nach Dortmund. Anders als in den Vorjahren fahren wir hier nicht mehr zweimal 6000m (Samstags im Einer, Sonntags im Doppelzweier), sondern müssen am Samstag einen 2000m-Ergotest fahren und dürfen erst am Sonntag in die Einer.
Also los mit meiner absoluten Lieblingsdisziplin: 2000m auf dem Ergo. Wenn ich was nicht kann, dann das. Die ganzen Analysegeschichten zeigen recht deutlich, dass zwar meine aerob-anaerobe Schwelle von Jahr zu Jahr besser wird, aber meine maximale Leistungsfähigkeit zeigt sich davon in der Regel ziemlich unbeeindruckt. Spitzenathletinnen fahren normalerweise unter 7:10min, während ich seit drei Jahren versuche, die 7:20 zu knacken.
Auf ein neues also: ich komme gut rein ins Rennen, wenn ich die Geschwindigkeit so halte, dann lande ich im Bereich meines Bestwertes. Ergotests sind kein Spaß, schon nach 500 Metern tut mir alles weh. Nach 1000 Metern habe ich kein Gefühl mehr in den Fußsohlen. 1500 Meter sind gefahren, Markus plärrt mir heiser ins Ohr, mich packt nochmal der Ehrgeiz und ich lege los zum Endspurt. Als ich nach 7:19,5 über die virtuelle Ziellinie fahre, bin ich genau so lange glücklich über meine Leistung bis sich meine Nebensitzerin, darüber ärgert, dass sie nur eine 7:08 gefahren ist. (Das ist so wie damals mit dem Abizeugnis. Ich habe mich genau eine halbe Stunde lang gefreut, dann kam mein Bruder nach Hause und war enttäuscht, dass auf dem Zeugnis auch dann eine 1,0 steht, wenn man doch rein rechnerisch eine 0,8 hätte.)

Immerhin reicht es für Platz 10 im Ergotest und bekanntlich schwimmen Ergos ja nicht. Rudern kann ich zum Glück besser. Und so schwinge ich mich am Sonntag Nachmittag bei klirrender Kälte in mein Boot und rudere hoch zum Start. So richtig läuft's noch nicht beim Warmfahren. Ich werde ein bisschen nervös. Die folgende Langstrecke ist mal wieder ein Musterbeispiel für die Subjektivität menschlicher Zeitwahrnehmung. Manche Teilstücke (besonders die am Anfang, wo mir Katrin, die nach mir gestartet ist, noch versucht das Leben schwer zu machen) kommen mir phänomenal kurz vor, andere ziehen sich wie Kaugummi in die Länge. Alles in Allem rutscht das Boot aber ganz gut. Ich wundere mich die ganze Zeit, dass Markus mir immer was von meinem Abstand zu Leonie Pless aus Frankfurt erzählt, wo doch Marie-Louise Dräger direkt vor mir fährt. Im Ziel weiß ich dann, warum: Marie ist doch tatsächlcih deutlich schneller gefahren als die schnellste der schweren Frauen, und ich reihe mich knapp vor Leonie als Vierte ein. Wieder ein Grund sich ein bisschen zu freuen. Bis Leonie erzählt, dass die Strecke bei ihr nicht so toll lief.

Na ja, der Winter ist noch lang. Mir bleibt also noch viel Zeit, um mein Milchglas vollzubekommen. Und nach Portugal darf ich natürlich mit.

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