Ich werde dieses Jahr nicht auf der WM dabei sein. Soviel steht fest. Es ist mein eigener, ausdrücklicher Wunsch.
Aber lasst mich vielleicht dort anfangen, wo der letzte Blogeintrag aufhört:
Am 25. September finden die Vorläufe der diesjährigen Ruder-Weltmeisterschaft statt. Am selben Tag startet das Wintersemester an der University of Newcastle.
Wenige Tage, nachdem ich von meinem England-Besuch wieder da war, hatte der DRV alle Bundeskaderathleten zu einer Informationsveranstaltung zum Thema Leistungssportreform eingeladen. Die Leistungssportreform und vorolympische Zentralisierung, die in letzter Zeit hinreichend in einschlägigen Medien diskutiert worden ist, möchte ich mich an diese Stelle gar nicht thematisieren. Für mich war jedoch eines der konkreten Ergebnisse des Tages der vorläufige Saisonplan meines zuständigen Bundestrainers. Dieser sieht ab Anfang Mai bis Ende Juli vor, dass die Sportlerinnen, die in Sarassota den Zweier und Einer fahren, jedes Wochenende ab Donnerstag in Ratzeburg trainieren. Anschließend geht es dann in die insgesamt 10-wöchige unmittelbare Wettkampfvorbereitung zur WM.
Ich bin frisch verlobt, muss diesen Sommer eine Wohnung in Hamburg auflösen und eine neue in England finden, bin zu 3 Hochzeiten von mir sehr nahestehenden Menschen eingeladen und einen Job habe ich auch noch.
Man kann es also drehen und wenden wie man will, diese Saison gibt es zu viele wichtige andere Dinge in meinem Leben, als das ich dem Rudern so viel Zeit und Energie widmen kann wie notwendig wäre, um eine erfolgreiche Saison zu fahren.
Blieb mir also noch die Aufgabe den passenden Punkt zu finden um auszusteigen. Meine beste Freundin hatte definitiv Recht damit, dass man sich nicht durchs ganze Winterhalbjahr quälen und dann vor der ersten Regatta die Flinte ins Korn schmeißen sollte. Ich entschied mich also, auch um des Chancenerhalts Willen, die beiden wichtigsten Leistungsüberprüfungen, nämlich die Langstrecke Leipzig und die Deutschen Kleinbootmeisterschaften, noch mitzufahren. Rückblickend sind das mit Sicherheit zwei der lehrreichsten Regatten meines Lebens gewesen.
Ich reiste total übermüdet nach Leipzig an. Bevor ich nach der abendlichen Ruderrunde erschöpft in mein Bett fiel, nahm ich meine Kontaktlinsen raus, packte sie in den Einsatz des Behälters mit der Reinigungsflüssigkeit - und vergaß anschließend, den Einsatz in den Behälter zu stellen. Am nächsten morgen waren die Linsen komplett ausgetrocknet. Ich hatte keine Ersatz-Linsen dabei, von einer Brille ganz zu schweigen. Ich verbrachte das Wochenende also quasi im Blindflug.
Für den Ergometertest gab es dieses Jahr erstmalig für alle Bereiche eine Norm, die es zu knacken galt. Zwei Wochen nach dem Trainingslager war ich etwas aus der Übung, was das Ergo anging. Ein neuer Bestwert musste es Dank der Norm ja nicht sein und eine 7:18 schaffe ich inzwischen auch ohne absolute Tagestophöchstform. Und genau so bin ich das Rennen dann auch gefahren: Die ersten 1000m mit einer Durchlaufzeit, die bei konsequenter Beendigung des Rennens auch eine 7:16 hätte werden können, und dann wurde ich immer langsamer. Am Ende stand eine 7:17,5 (wenn ich's richtig im Kopf habe) auf dem Display. Knapp, aber ausreichend. Zufrieden war ich nicht, und das noch nichtmal wegen des Ergebnisses in Zahlen, sondern weil ich das Gefühl nicht loswurde, dass ich das eigentlich besser kann.
Abends stand ich vor dem Training auf dem Steg und mir war alles so fürchterlich egal. Nicht das entspannte, unbelastete Egal. Es war dieses Egal, bei dem die Welt an einem vorbeizuziehen scheint. Irgendwie hat Markus in der Situation noch die passenden Worte gefunden, die mich doch dazu brachten noch ins Boot zu steigen. Erstaunlicherweise machte es sogar Spaß.
Am nächsten Tag dann die Langstrecke im Blindflug. Ich fuhr konzentriert und kam ganz gut vorwärts. Irgendein seltsamer Mechanismus in meinem Kopf schien sich beim Ablegen völlig selbstständig in den Wettkampfmodus geschaltet zu haben. Das Fahren an sich machte sogar richtig Laune und ich stellte fest, dass es gar nicht mal so doof ist, nichts zu sehen - dann muss man sich schon nicht das ganze Rennen den Kopf darüber zermartern, ob die, die hinter einem fährt jetzt rankommt, oder ob man sich seinerseits absetzen kann.
Ich legte an und konnte meinen Trainer nicht finden. Und der hatte meine Jacke mit dem Spindschlüssel. Halb blind, erschöpft und völlig neben mir stehend bin ich auf dem Regattaplatz rumgeirrt. Zum Glück hat Stromi Markus dann einfach angerufen und der konnte mir dann sagen, wo ich meine Jacke finde.
Ich hätte an diesem Nachmittag gerne überall sein wollen, aber nicht auf diesem Regattaplatz. Ich hatte es tatsächlich geschafft, die drittschnellste Zeit zu fahren und dann stand ich da vor dem Treppchen und wollte mich nicht draufstellen. Alle guckten mich an und ich hätte mich am liebsten in Luft aufgelöst.
Am schlimmsten waren die Leute, die mir noch erklären wollten dass ich doch total super gerudert sei. Ich stand stumm daneben und nickte, denn wo hätte ich anfangen sollen mit erzählen?
Das Training in den folgenden drei Wochen war zutiefst unbefriedigend. Einerseits aufgrund der Rahmenbedingungen - es war kalt und windig und außerdem war mal wieder die Reiherstiegschleuse gesperrt, so dass wir für jede Rudereinheit nach Allermöhe fahren mussten. Andererseits ruderte ich so schlecht wie schon seit langem nicht mehr. Nichts gelang mir und keine der Einheiten machte auch nur ansatzweise Spaß.
Am Osterwochenende fand dann der Hamburger "Frühtest" statt - DIE Gelegenheit, vor den Kleinbootmeisterschaften nochmal das Rudern unter Wettkampfbedingungen zu üben. Ich fuhr den Vorlauf, fuhr anschließend nach Hause und schlief zwei Stunden auf dem Sofa. Auch die nächsten Tage blieb mein Boot im Trockenen. Ich war einfach nur völlig fertig. Am Dienstag und Mittwoch stieg ich dann mit etwas frischer Energie wieder für kurze Trainingseinheiten in den Einer. Es lief besser als die vorangegangenen Wochen, aber weit weg von "gut gerudert." Ich war froh, wenn ich nach dem Training nach Hause fahren durfte.
Am Donnerstag ging es dann prompt erstmal damit los, dass wir zwar Boot und Skulls auf das Autodach luden, meine Ausleger aber in Allermöhe liegen ließen. Was ein Glück, dass andere erst später anreisten und sie noch für mich einpackten (Danke, Nils!).
Zum Vorlauf am Freitag hatte ich Glück im Unglück - nach einigen Abmeldungen wurden die Vorläufe nochmal umgesetzt, so dass ich nicht die Gegnerinnenkonstellation abbekam, die anschließend eines der härtesten Firtelfinals abgab. Ich fuhr relativ souverän vorneweg - vom Abstand her - ruderisch war es irgendwie noch nicht das Wahre… Ich hätte nicht gewusst, wie ich einen Spurt hätte fahren sollen aus diesem Streckenschlag heraus.
Das Viertelfinale am Samstag ging meinerseits mit einem leicht verschlafenen Start los, so dass ich mich erst bei Streckenhälfte an meiner Kontrahentin aus Limburg vorbeiarbeiten konnte. Im ersten Streckenviertel hatte ich das Gefühl, gar nicht mit dem Kopf im Boot zu sein. Es war, als würde ich mir das Rennen von außen angucken. Es war letztlich dann ein Arbeitssieg, der mir aber immerhin die schnellste Viertelfinalzeit bescherte.
Auch im Halbfinale, das von der Ansetzung her hart, aber machbar war, kam ich am Start einfach nicht richtig in die Puschen, so dass meine Kontrahentinnen mir mal eben locker ein paar Längen davonfuhren. Viel zu spät realisierte ich, dass ich wirklich Gummi geben musste, um noch ins Finale zu fahren. Mit etwas über einer Sekunde Rückstand auf die Drittplatzierte Schweizerin Ladina Maier musste ich somit Vorlieb mit dem Finale B nehmen. Mein Gott, wie peinlich mir das war! Das letzte Mal war ich 2012 im B-Finale. So hatte ich mir das definitiv nicht vorgestellt. Das Schlimmste war aber definitiv, dass ich aus dem Boot gestiegen bin und überhaupt nicht wusste, ob ich jetzt eigentlich gut oder schlecht gerudert bin oder wo es jetzt genau geklemmt hatte.
Immerhin gab mir das völlig verpatzte Halbfinale nochmal Motivation, im Finale B nochmal richtig Leistung zu zeigen. Die wohlwollende Anerkennung (nebst ehrlichem Bedauern) meines Rückziehers für die Saison seitens des DRV machte mir die Sache mit Sicherheit auch um einiges leichter.
Letztlich gelang es mir dann auch, deutlich vorneweg zu fahren und anschließend eine Zeit auf dem Ergebnis zu lesen, die mich für viele auf dem Platz zur "inoffiziellen Dritten" machte. Letzten Endes fährt man aber meiner Meining nach keine komplettes Qualifikationssystem aus, um anschließend Zeiten zu vergleichen.
Auf jeden Fall haben die beiden Regatten eindrucksvoll bewiesen, dass Rudern trotz aller physischen Voraussetzungen die man so mitbringen muss vor Allem eines ist: Kopfsache!
PS: War letzte Woche zweimal Rudern. Hat Spaß gemacht.
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