Das Leben da draußen

"Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist, 
was geschieht dann mit dem Rest?"

(Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon)


Es ist ein komisches Gefühl, wenn ein Ziel, dass man jahrelang gehabt hat, irgendwann aufhört, sich erstrebenswert anzufühlen. Ich kann es nicht an einer einzelnen Sache festmachen, warum. Aber eine Teilnahme an den olympischen Spielen hat irgendwann in den letzten Monaten aufgehört, mein Lebenstraum zu sein. Vielleicht vor allem deshalb, weil ich in den Sommermonaten, die ich (fast) ohne Training verbracht habe, plötzlich festgestellt habe, dass es da draußen ein ganz anderes, buntes Leben gibt. Vielleicht, weil ich realisiert habe, dass es nur gelingen kann, wenn ich für ein, zwei Jahre zur Vollzeitathletin werde und es mir dieses Opfer nicht wert ist. Trotzdem fühle ich mich seltsam leer in den Tagen, nachdem ich meine Rücktrittserklärung an den DRV und die NADA verschickt habe.

Manchmal beschleicht mich der Gedanke, dass ich mein bisheriges Leben einfach unüberlegt weggegeben habe. Und das, obwohl ich weiß, dass ich mir selten etwas so gut und gründlich überlegt habe wie meine Entscheidung, nach Newcastle zu gehen.

Ich wünsche mir trotz allem nichts mehr, als den Spaß am Rudern wiederzuentdecken. Mit einem Team an einem Strang zu ziehen. Vielleicht, so denke ich, können die anderen Mädels noch etwas von mir lernen. Das Training am Newcastle University Boat Club ist völlig anders, als alles, was ich gewohnt bin. Wir trainieren fast jeden Tag zweimal. Morgens um 7 und nachmittags oder abends, je nachdem, wann die Vorlesungen zu Ende sind. Der Dienstag ist der härteste Tag: morgens dynamic weights. 60 Leute die eine Stunde lang im Gleichtakt Gewichte heben. Nachmittags intensive Ausdauer auf dem Ergometer. Musik ist bei keiner der Trainingseinheiten erlaubt. Oft genug habe ich an diesem Tag Vorlesungen von 9 bis 18 Uhr. Manchmal steige ich viel früher als geplant vom Ergo, weil ich Bauchschmerzen habe.

Wir sind dazu angehalten, jede Trainingseinheit zusammen zu machen, selbst wenn es nur Radfahren ist. Auch wenn mir die Trainer den einen oder anderen Freiraum erlauben, habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich das nicht mache. Ich will doch ein Vorbild für die anderen Mädels sein.

Die 40-köpfige Gruppe besteht überwiegend aus 19, 20-jährigen Engländerinnen. Ich habe mich selten in meinem Leben so fremd gefühlt und es überrascht mich. Das hier ist doch Europa, und ich spreche ihre Sprache. Und doch prallen Welten aufeinander, wenn wir zusammenstehen und sie reden darüber, in welchem Club sie heute Abend feiern gehen, wer gerade mit wem zusammen ist und wer was auf Instagram gepostet hat. Ich diskutiere abends mit Tobi die Hochzeitsplanung und schreibe Bewerbungen.

Manchmal fällt einem wohl auch erst im Rückblick auf, in was für einer glücklichen Situation man einmal gelebt hat. Ich war noch nie der fleischgewordene Mainstream, wahrscheinlich hätte ich auch mit 19 nicht so recht in diese Gruppe gepasst. Eine der wenigen Gruppen, zu denen ich mich je richtig zugehörig gefühlt habe - und das von Anfang an - war mein Team auf der Arbeit. Da war nämlich jeder anders, und genau das war die Stärke des Teams. Jeder war ein Spezialist auf seinem Gebiet, eine einzigartige Persönlichkeit. Mann, Frau, Jung, Alt, spanisch, deutsch, französisch. Egal. Und jeder hilft jedem mit dem, was ihn besonders macht. Ich habe an meinem letzten Arbeitstag jedem meiner Kollegen eine Karte geschrieben. Jeder hat eine andere bekommen. Ich hätte nach vier Jahren mit all diesen besonderen Menschen unmöglich jedem das selbe schenken können.

Im Leistungssport ist eine gewisse Austauschbarkeit gewünscht. Für die Entscheidungsträger im Spitzensport schrumpft die gesamte Persönlichkeit eines Athleten oft genug auf eine einzelne Zahl, eine Weite, Höhe, Geschwindigkeit zusammen.

Drei Regatten bin ich mitgefahren: das BUCS Small Boats Head in Boston, das Fours' Head in London und das Rutherford Head. Für Fours- und Rutherford Head haben wir einen Doppelvierer, der richtig gut funktioniert. Aus London kommen wir mit Silber nach Hause, Rutherford können wir gar mit deutlichem Abstand gewinnen. Ich sitze auf Schlag und es ist, als würde mein Kopf einfach nur ein Programm laden und abspielen. Ich rudere schnell, weil ich einfach weiß, wie es geht. Da ist nicht der Wille, zu kämpfen oder zu gewinnen. Es ist einfach Konzentration auf das, was zu tun ist.

Während wir mit gerade mal zwei Booten in London sind, fährt der Rest der Mädels zu Hause ein Ranking aus. Es geht darum, wer für das Rutherford Head im ersten, zweiten, dritten oder gar vierten Achter mitfährt. Die Mädchen geben ihr Bestes, um im ersten Boot zu sitzen. Für mich sind die Regatten hier aus sportlicher Perspektive völlig bedeutungslos. Ich habe sechzehn Jahre meines Lebens nur geskullt. Das Wochenende vor dem Rutherford Head bin ich in Deutschland um Tobi zu seiner Doktorprüfung begleiten zu können.

Mein Trainer setzt mich in den ersten Achter.

Beim Briefing sagt er, wir sollen das Rennen nicht für uns fahren, sondern für all die vielen Zuschauer, die unserem Lokalderby beiwohnen und den Club unterstützen. Dass wir das beste sind, was der Club zu bieten hat und dass jeder, der sich diesem Druck nicht gewachsen fühlt, nicht in diesem Achter sitzen sollte. Ich würde am liebten sagen: "Okay, ich geh dann mal. Gib meinen Sitz jemandem, der ihn haben will." Zwei Stunden vor dem Rennen ist es dafür freilich zu spät.

Wir müssen etwa eine Stunde auf dem Wasser auf unseren Start warten. Es ist 4 Grad kalt und ein eisiger Wind weht. Als wir schließlich starten, wünsche ich mir nichts sehnlicher als in meinem warmen Bett zu liegen. Hier kann ich kein Programm ablaufen lassen. Ich muss jeden Schlag versuchen, vernünftig zu rudern. Ich habe keine Idee davon, wie sich "richtig" beim Riemenrudern anfühlt. Im Vergleich zum Skullen fühlt sich der Schlag unglaublich kurz an, ich habe nie das Gefühl, richtig hinter dem Blatt zu hängen. Das Boot wackelt, es gibt einige Schläge in denen ich mein Blatt gar nicht erst ins Wasser bekomme. Ich habe das Gefühl, dass ich mich vor all den Anwesenden gerade bis auf die Knochen blamiere.

In der folgenden Woche bin ich krank. Ich beschließe, die Zeit zu nutzen und mache einen Termin mit Gary, dem Sportpsychologen der Newcastle University. Ich erhoffe mir einen objektiven Blick auf das, was da in meinem Kopf passiert und was ich selbst nicht so recht glauben mag: Ich will nicht mehr rudern. Oder, wie der Psychologe es ausdrückt: würde man ein Pro- und Contraliste mit allem machen, was bei mir diesbezüglich im Kopf herumschwirrt, dann gibt es einfach sehr viel mehr Argumente, die gegen die Fortführung des Leistungssports sprechen, als Argumente die dafür sprechen.

Was hält mich zurück? Nun, dieses seltsame Gefühl, meine Identität herzugeben. Wenn mich die Leute fragen: "wer bist du?", was werde ich antworten? Das herauszufinden, so Gary, wird wohl eine Weile dauern. Aber das ist ganz normal.

Und so bringe ich den Mut auf, mich dazu zu entscheiden, das Rudern an den Nagel zu hängen, zumindest so lange ich nicht die Möglichkeit habe, es wirklich ohne Druck von außen nur so zum Spaß auszuüben. Erleichtert verlasse ich Garys Büro. Ein Gedanke schießt durch meinen Kopf: Heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens!

Meine Mitbewohnerin fragt mich, was ich denn nun machen möchte. Ich sage ihr, ich würde so gerne noch richtig Gitarre spielen lernen. Am liebsten würde ich das Instrument nach Weihnachten einfach vom Dachboden meiner Schwiegereltern holen und mit nach Newcastle bringen. Aber nach all den Horrorstorys, die ich schon von Instrumenten im Flugzeug-Frachtraum gehört habe, traue ich mich nicht. Ral geht in ihr Zimmer und kommt kurze Zeit später mit einer etwas eingestaubten Gitarre zurück. Eine ihrer früheren Mitbewohnerinnen hat sie in Newcastle zurückgelassen, seit dem steht sie unbenutzt herum. Außerdem wird Ral einen Kollegen fragen, ob er mir nach der Klausurenphase Gitarrenunterricht geben kann. Ich platze beinahe vor Glück. Seitdem spiele ich fast jeden Tag. Ich bin erstaunt, wie viel ich nach vielen Jahren Pause dann doch noch auf dem Instrument zustande bekomme. Und ich mache bescheidene Fortschritte.

Es fühlt sich an wie Urlaub. In den ersten paar Wochen schlafe ich teilweise bis um 8 Uhr. Dann setze ich mich in aller Ruhe an meinen Schreitisch und lerne: State Space, Ziegler-Nichols-Tuning, Z-Transforms. Ich sauge das Wissen in mir auf und freue mich jedes Mal, wenn ich endlich etwas verstanden habe. Ich habe Energie dazu, es ist kein "oh nein und nach dem Training muss ich aber wirklich noch lernen."

Ich bin wach. So sehr, dass ich glaube, ich habe einfach irgendwann im Laufe der letzten Jahre vergessen, was es bedeutet, richtig wach zu sein. Als hätte ich das Leben jahrelang nur durch eine trübe Glasscheibe gesehen, durch die alles unerreichbar, dumpf und grau wird.

Ich mache Sport. Radfahren, Schwimmen, Yoga, Pilates, Crosstrainer. Ich nehme mir das vor. Morgens, oder ein paar Tage vorher. Trotzdem passiert es einfach nicht, dass ich das Gefühl habe: och nööö… ich will nicht.


Ich schnappe mir mein Fahrrad und fahre ans Meer. Ich bin nicht schnell. Überhaupt nicht. Für die 36km hin und zurück brauche ich fast 2 Stunden. Ich bin trotzdem stolz auf mich, als ich wieder zu Hause bin. Ich habe das Gefühl, an einem durchschnittlichen Sonntag mit unterdurchschnittlichem Wetter trotzdem etwas außergewöhnliches getan zu haben.

Manchmal vermisse ich es trotzdem schrecklich, mich ins Boot zu setzen, den Wind um die Nase zu spüren, dem Rauschen des Wassers unter dem Rumpf zu lauschen. Aber rudern scheint in all den umliegenden Vereinen nur als Wettkampfsport, zwar mit unterschiedlichen Abstufungen in der Intensität, aber doch immer mit einer gewissen Erwartungshaltung verknüpft, zu existieren.

Es ist der 18. Dezember 2017. Ich gehe mit offenen Augen durch die Stadt, genieße das Licht, das die winterliche Sonne auf die Häuser, den Tyne und die Brücken wirft. Ich bin bezaubert von so einfachen Dingen wie dem tollen Türkisblau eines ansonsten recht hässliche Graffito an einer Hauswand im Hafen. Ironischerweise habe genau an diesem Morgen, einen Tag bevor ich zu Weihnachten nach Hause fliege, das Gefühl, angekommen zu sein. Das hier ist mein Leben und ich halte es in meinen Händen und kann damit tun, was ich will. Mir ist klar geworden, dass ich mehr sein möchte als eine gute Ruderin.

Ich bin dankbar. Dankbar, dass mich das Rudern über weite Strecken meines Lebens begleitet hat. Dankbar für all die Menschen, die es in mein Leben gebracht hat. Von denen viele, so durfte ich in den letzten Monaten erleichtert feststellen, in mir doch auch andere Dinge als die gute Ruderin zu sehen scheinen. Ich bin dankbar, dass ich mich in vielen Facetten selbst kennenlernen durfte. Dankbar für Sonnenaufgänge über spiegelglattem Wasser und für dieses einzigartige Gefühl, wenn das Boot "klickt" und jeder intuitiv weiß, was er zu tun hat.

Und ich bin dankbar, all das loslassen zu können und Raum für Neues zu gewinnen.

Möglicherweise ist Rudern das, was ich bisher am besten konnte.
Aber ich kann immer noch alles andere lernen.

Henley, Tag 3

oder: the happiest rower I've ever seen.

Nachdem ich am Donnerstag eines der ersten Rennen hatte, habe ich am Freitag eines der letzten: 6:40 p.m. Das ist so spät, dass wir nach dem Rennen nicht mehr mit dem Bus nach Reading zurückfahren können, sondern die Bahn werden nehmen müssen. Dafür ist es aber auch so spät, dass meine Familie es bequem nach dem Abendessen angucken kann. Und außerdem gibt es uns die Möglichkeit, vor dem Rennen ein paar Stunden in der Stewards Enclosure zu verbringen. Neben Ruderrennen und schrägen Outfits können wir dort auch die Art Gallery und alle Pokale bestaunen. Besonders fasziniert mich, dass die Pokale alle so alt sind, dass unten schon x mal angestückt werden musste, um genug Platz zu haben, alle Gewinner einzugravieren. Außerdem holen wir uns beide leider einen hübschen Sonnenbrand ab, denn heute ist der erste Tag der Regatta, an dem sich das strahlende Etwas ein bisschen häufiger am Himmel zeigt.

Da ich eines der späten Rennen habe, genieße ich das Privileg, in der Tea Time rudern gehen zu dürfen. Es ist mal wieder Bootsslalom angesagt - besonders fasziniert bin ich von der schwimmenden Eisdiele. Außerdem drehen über meinem Kopf fleißig Helis (zu Tobis Freude) und Kunstflugzeuge ihre Runden.


Abends ist es dann so voll und die Rennabstände so groß, dass man beim Warmfahren das erste Stückchen in der Regattastrecke hochfahren muss. Ansonsten genieße ich das Warmfahren wie sonst selten eine Rudereinheit. Es ist warm und trocken, aber nicht zu sonnig, das Wasser ist zwar kabbelig, aber noch gut ruderbar und ich werde sogar beim Training lautstark von allen Seiten angefeuert. Ich kann mir das Grinsen nicht verkneifen und mein einziger Gedanke ist: MEIN GOTT IST DAS COOL!

So liege ich auch mit breitem Grinsen neben meiner Kontrahentin aus den Niederlanden am Start und freue mich einfach drauf, gleich diese Wahnsinnsstrecke runterzunageln. Harriet, eine der Ruderinnen aus Newcastle, die dieses Mal mit Alex und Tobi in der launch vessel sitzt (weil sie mal jemand richtig gut skullen sehen wollte, wie Tobi mir später erzählt - Mann, fühle ich mich gebauchpinselt!) sagt, sie habe noch nie in ihrem Leben so ein glückliches Mädchen gekannt.

Das Rennen ist vom Verlauf her leider recht unspektakulär - ab kurz hinter Temple Island sehe ich von Inge leider nur noch Kondensstreifen. Spaß macht es trotzdem und schneller rudern wäre auch einfach nicht mehr drin gewesen. So steige ich trotzdem sehr zufrieden aus meinem Boot und falle erst Inge und dann Tobi in die Arme. Ich glaube, im Viertelfinale rausfliegen hat sich noch nie so gut angefühlt.

Aber jetzt lasse ich doch nochmal den Tobi zu Wort kommen, der kann die Atmosphäre hier so gut beschreiben:
Ein wirklich nennenswerten Unterschied zwischen Judith und ihren Kontrahentinnen ist sogar mir als nicht-Ruderer aufgefallen: Judiths Gegnerinnen wirkten alle irgendwie verbissen und verkrampft. Judith dagegen war einfach glücklich und ausgeglichen. ("Sie ist das glücklichste Mädel, dass ich je gesehen habe." oder: "Lächelt sie immer so viel?" waren Sätze die ich auf dem Schiedsrichterboot bei beiden Rennen hörte.) Das heißt nicht, dass sie nicht konzentriert und nervös war. Ganz im Gegenteil: Judith war extrem konzentriert aber eben auch extrem glücklich! Man merkte ihr an, dass sie das machen darf, was ihr am meisten Spaß macht: schnell Rudern! Und das nicht um um jeden Preis gewinnen zu müssen, sondern wegen des Spaßfaktors.
Aus meiner Sicht als nicht-Ruderer und nicht-Leistungssportler war es eine gute Entscheidung mal dem Leistungsdruck zu entfliehen und die hohe Leistung lieber aus Spaß und Freude heraus zu erbringen. Judith wirkt damit einfach viel ausgeglichener, zufriedener und glücklicher. 
Genauso toll finde ich die tolle Atmosphäre und dass "Verlierer" hier genauso gefeiert werden wie Gewinner. Es gibt einfach keine Verlierer hier in Henley. Wer herkommt und mitmacht hat schon gewonnen.
Als wäre das nicht schon genug, ist es wunderschön zu sehen und zu spüren, dass die Mädels und Jungs aus Newcastle, mit denen Judith ab Oktober rudern wird, Judith vor allem als Mensch schätzen und nicht nur aufgrund ihrer herausragenden Leistungen im Sport.






Henley, Tag 2

Ich glaube, so tierisch aufgeregt war ich schon lange nicht mehr vor einem Rennen. Man könnte auch sagen: so vorfreudig. Die Minuten, bis ich endlich ablegen darf, ziehen sich endlos in die Länge. Ein Blick ins Programmheft macht mich noch etwas nervöser: meine Gegnerin, Pippa Whittacker vom Imperial College in London, wiegt knappe 3 Stones mehr als ich. Also ein echtes Schwergewicht. Nichtsdestotrotz freue ich mich einfach riesig darüber, vor dieser krassen Kulisse rudern zu dürfen - auch, wenn an diesem morgen (mein Rennen startet um 9:20) noch nicht die Massen das Ufer säumen, die es gegen Mittag noch werden sollen.
Alex, der Frauencoach aus Newcastle, steht am Eingang des Boat Tents um mir Glück zu wünschen und freut sich sehr über Tobi's spontane Einladung, ihn mit aufs Umpire Boat zu nehmen (eine schöne Besonderheit der Henley Regatta: pro teilnehmendem Boot dürfen drei Leute auf dem Schiedsrichterboot mitfahren, um das Rennen aus nächster Nähe anzuschauen. Reden dürfen sie aber nicht, genausowenig Pfeifen, Winken, oder den Sportlern irgendwelche Zeichen geben.)


Nachdem ich im kurvigen Warmfahrbereich einmal fast das Skull an einer Boje hängen gelassen hätte und man die Startbrücke maximal weit nach vorne geschoben hat ("Your boat is very tiny!") geht es auch schon los. Überraschenderweise liege ich gleich vom Start weg vorn und kann den Abstand über die - insbesondere bei Gegenwind - ewig lange Strecke auch noch ausbauen. Ansonsten lassen wir zum Rennverlauf am besten die Bilder sprechen, mein heutiges Rennen gibt's nämlich auch auf Youtube zu sehen. Im Übrigen mit erstklassiger Reportage der beiden worldrowing-Moderatoren und Fernsehbildern, die man in der Qualität oftmals noch nicht mal für die WM bekommt.

In den Zeiten, in denen auf dem Schiedsrichterboot geredet werden darf, findet Tobi noch allerlei interessantes und kurioses über die Henley Royal Regatta heraus. Etwa, wie das voll analog-mechanische Anzeigesystem funktioniert: in der Stewards Enclosure sitzt einer mit Fernglas und zwei Modellbooten, die er auf einer Tafel hin- und herschieben kann, um den aktuellen Abstand anzuzeigen. Den weiß er, weil an jedem Zwischenposten, sobald die Ruderer vorbeigefahren sind, zwei Tafeln in der Reihenfolge, in der die Ruderer vorbeigefahren sind, hochgezogen werden. Je nach Abstand an der Markierung werden auch die Tafeln unterschiedlich weit hochgezogen. Nachdem aber nicht ganz so viel Platz auf der Anzeige ist, ist alles über vier Längen Vorsprung nur noch als "easily" zu bezeichnen. Eine ähnliche Anzeige gibt es auch für die Zwischenzeiten.

A propos easily: morgen, im Viertelfinale, treffe ich auf eine der Silbermedailliengewinnerinnen der Rio-Olympiade im Frauendoppelvierer. Bin gespannt, wie lange ich sie ärgern kann. Drückt mir die Daumen!



Henley, Tag 1

oder: wie Tobi und Judith gar nicht mehr aus dem Staunen herauskamen.

Nachdem Tobi es immerhin geschafft hatte, mich bis 6 Uhr im Bett zu halten, haben wir den Tag mit einem gemütlichen Frühstück und ich für meinen Teil mit einer Runde Yoga begonnen, bevor wir begannen, darauf zu warten, dass wir endlich los dürfen.
Der Bus fuhr nämlich erst um 8:45... aber von wo nur? An der Friar Street gibt's sooo viele Bushaltestellen. Aber die Engländer sind ja nett und hilfsbereit. So auch der Busfahrer, von dessen Ausführungen wir aufgrund des heftigen Akzents zwar nur die Hälfte verstanden, der aber eingehend für uns den Tarifplan studierte, um das günstigste Wochenticket zu finden. Ganz unfreundlich wurde er allerdings an der nächsten Haltestelle: wer den Bus nicht zu sich herwinkt, muss nämlich in England davon ausgehen, dass der auch nicht anhält. Der Mann hat Prinzipien, das muss man ihm lassen.


Nach einer guten halben Stunde gegurke über super schmale Landsträßchen kamen wir dann auch in Henley an. Den Weg zur Regattastrecke zu finden war dann auch ein Kinderspiel. Dort gab es erstmal einen Haufen organisatorischen Krempel zu erledigen: beim Badge Office gab's leider nur noch Pappkärtchen statt der Metallbadges für die Stewards Enclosure - Na ja, Hauptsache ich komme erstmal rein. Seit dem Weigh-In weiß ich nun auch ganz offiziell, dass ich 9 Steine und 5 Pfund wiege. (Sehr komische Sache, wenn auf der Waage plötzlich eine 9 vorne steht....)  Beim Boat Tent Official gab es Startnummer, Aufkleber und Umweltschutzplakette (ich darf jetzt mit meinem Boot auch durch die Umweltzone, cool, oder?) sowie eine ausführliche Beschreibung, wo ich mein Boot zu lagern habe. Musste nur noch das Boot gefunden werden. Nach einigem Gelaufe haben wir den passenden Anhänger gesichtet und das Boot aufgerrigert um es sodann im Boat Tent an den passenden Platz zu legen.
Dann hieß es: Warten auf den Luncheon. Und was macht man am besten, um auf den Lunch zu warten? Genau, man holt sich was zu Essen! Cappucchino und Waffel mit Erdbeeren und Sahne. Und dazu Leute gucken: abgefahrene Hüte, mutige Farben und gewagte Mustermixe prägen den Stil des Regattaplatzes.

In der Lunchbreak ging es selbstverständlich nicht nochmal zum Essen, sondern ins Boot, Strecke angucken. Mein Kopf rotierte auf der Tour wie eine Radarantenne: sooo viele Boote (und nein, nicht so viele Ruderboote, sondern: Yachten, Motorboote, Gondeln, Schaufelraddampfer... kurzum, alles was oben schwimmt.) Und vor so vielen Zuschauern bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht gerudert.

Während ich mit Rudern beschäftigt war, zog Tobi los, um mir einen 15-Pfund-Luxus-Bootsputzlappen zu kaufen (= Handtuch mit Henley-Logo). Danach machten wir noch ein bisschen Regattatourismus: Leute gucken, Rennen gucken, Hüte gucken, Elvis zuhören, wie er on the River rollt und anschließend die passende Bushaltestelle suchen...

Morgen geht es dann auch für mich mit Rennen los. Bin schon sehr gespannt wie das wird.

How to become "acting coach"

oder: die letzte Ölung auf der Elbe.

ein Gastbeitrag von Tobi.

Montagabend, letzter Abend in Deutschland bevor unser Abenteuer in Henley startet. Trainingsbeginn erst einmal mit einer Portion Erdbeeren zur Stärkung nach einem anstrengenden Arbeitstag und für die Trainingsrunde bei ordentlichem Wind und kaputter Schleuse auf der Elbe.

Nachdem das Badge Office der Regattaleitung in Henley mich kurzerhand zum "Acting Coach" befördert hat, um mir alle Möglichkeiten zu geben, meine fiancée zu unterstützen, wird es wohl Zeit für mich, auch einmal eine aktive Rolle in ihrem Training zu übernehmen. Na ja, sind wir ehrlich: Ich hatte Schwein, dass die Briten so nett sind, Markus nicht in England dabei sein kann und ihm am Montag Abend nach aktivem Trainereinsatz auf der Holland Beker Regatta einfach die Stimme versagt hat. Also soufflierte er seine Kommandos und ich brüllte sie dann so laut es ging über die Elbe.

Was habe ich gelernt?
1. Aushebeln und Abdrehen sollen zwei getrennte Bewegungen sein.
2. Die Blätter sollen frei bleiben vom Wasser, aber auch nicht abheben wie ein Flugzeug beim Start - wenn man es, wie Markus mir ausdrücklich erlaubte, in meinen eigenen Luftfahrerworten formuliert (bis ich das geschafft hatte, hatte Judith den Fehler aber schon ganz selbstständig korrigiert.)

Was haben wir noch gelernt? "Judith, fahr' mal stehendes Blatt, dann ist das timing beim Foto machen viel einfacher."

Aber die wichtigste Lektion "Jetzt kling' doch nicht so genervt beim Brüllen!" (Was scheinbar gar nicht so leicht ist: Ich war mir jedenfalls gar nicht dessen bewusst, dass ich genervt klinge.)

Mein Fazit: Als Ingenieur mache ich eine wesentlich bessere Figur, als als Rudertrainer. Aber zumindest kann ich Judith in Henley mentalen Beistand leisten und mich um die weniger ruderlastigen Themen kümmern. (Anmerkung von Judith: also kochen, Tasche tragen, Bus raussuchen, Ferienwohnung organisieren, Rücken kraulen... Ansonsten: Gut gebrüllt, Löwe, du machst das gar nicht so schlecht.)

Mittlerweile sind wir bei typisch britischem Wetter gut in unserer Ferienwohnung in Reading angekommen, haben ein leckeres, wenn auch völlig ungesalzenes Abendessen genossen und machen uns einen Schlachtplan für die ersten Regattatage.

Die Spannung steigt, besonders beim acting coach.

We'll keep you posted.

Regatta Ratzeburg

Glück findest du nicht, wenn du es suchst, sondern wenn du zulässt, dass es dich findet. (unbekannt)
An manchen Tagen möchte man die ganze Welt umarmen.
 Ich habe die letzten Wochen nicht trainiert. Ich habe einfach nur Sport gemacht. Bin mit dem Rennrad nach Stade gefahren und mit dem Tandem (und Tobi am Lenker) um die Moselschleifen gegurkt. Wir haben gemeinsam gelernt Discofox zu tanzen. Ich habe ab und zu Yoga gemacht, war klettern und schwimmen (einmal mit und einmal ohne Kayak). Und ja, und gerudert bin ich auch. Nicht jeden Tag, und wenn ich es vorhatte und es hat doll geregnet und gestürmt, dann habe ich halt auf besseres Wetter gewartet und bin dann nicht so lange gefahren. Und einmal haben wir uns spontan mit der Trainingsgruppe in den Doppelvierer geschwungen.
Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber ich vermisse das systematische auf-einen-Wettkampf-zu-trainieren ganz und gar nicht. Noch weniger vermisse ich es mich ständig müde zu fühlen und am allerwenigsten die Bauchschmerzen, die in den letzten 1,5 Jahren mehr oder weniger Dauerzustand waren.
Nun also doch eine Regatta: Ratzeburg. Die letzten Jahre eher eine nervige Pflichtveranstaltung mit Krebsen, nicht eingefahrenen Vierern und ähnlichen Katastrophen. Dieses Jahr komme ich nach Ratzeburg und denke nur so etwas in die Richtung: Schön hier. Und so viele nette Leute! Und das völlig ohne Ironie.

Sieg am Samstag...
Irgendetwas muss sich auch gewaltig geändert haben an meiner Ausstrahlung. Es gibt an diesem Wochenende viele Leute, die auf mich zu gehen und Dinge zu mir sagen wie: "Es gefällt mir, wie du hier herumläufst." und "Du siehst glücklich aus." oder: "Du wirkst so entspannt." und natürlich "Darf ich mal den Ring sehen?" und: "Wann heiratet ihr denn?"
Das ich es an beiden Tagen auch noch schaffe, den Leichtgewichts-Fraueneiner zu gewinnen setzt dem Ganzen noch das Sahnehäubchen auf. Es waren beides Rennen auf Augenhöhe, bei denen ich ordentlich arbeiten musste, um mich abzusetzen. Wahrscheinlich hätte mir der zweite oder dritte Platz fast genauso viel Spaß gemacht. Und ich frage mich immer noch, ob das Zufall war, dass ich zur Siegerehrung am Sonntag geiles Leben gespielt bekommen habe. Hat einfach gepasst.

... und am Sonntag

Reine Kopfsache.

Ich werde dieses Jahr nicht auf der WM dabei sein. Soviel steht fest. Es ist mein eigener, ausdrücklicher Wunsch.

Aber lasst mich vielleicht dort anfangen, wo der letzte Blogeintrag aufhört:

Am 25. September finden die Vorläufe der diesjährigen Ruder-Weltmeisterschaft statt. Am selben Tag startet das Wintersemester an der University of Newcastle.

Wenige Tage, nachdem ich von meinem England-Besuch wieder da war, hatte der DRV alle Bundeskaderathleten zu einer Informationsveranstaltung zum Thema Leistungssportreform eingeladen. Die Leistungssportreform und vorolympische Zentralisierung, die in letzter Zeit hinreichend in einschlägigen Medien diskutiert worden ist, möchte ich mich an diese Stelle gar nicht thematisieren. Für mich war jedoch eines der konkreten Ergebnisse des Tages der vorläufige Saisonplan meines zuständigen Bundestrainers. Dieser sieht ab Anfang Mai bis Ende Juli vor, dass die Sportlerinnen, die in Sarassota den Zweier und Einer fahren, jedes Wochenende ab Donnerstag in Ratzeburg trainieren. Anschließend geht es dann in die insgesamt 10-wöchige unmittelbare Wettkampfvorbereitung zur WM.

Ich bin frisch verlobt, muss diesen Sommer eine Wohnung in Hamburg auflösen und eine neue in England finden, bin zu 3 Hochzeiten von mir sehr nahestehenden Menschen eingeladen und einen Job habe ich auch noch.

Man kann es also drehen und wenden wie man will, diese Saison gibt es zu viele wichtige andere Dinge in meinem Leben, als das ich dem Rudern so viel Zeit und Energie widmen kann wie notwendig wäre, um eine erfolgreiche Saison zu fahren.

Blieb mir also noch die Aufgabe den passenden Punkt zu finden um auszusteigen. Meine beste Freundin hatte definitiv Recht damit, dass man sich nicht durchs ganze Winterhalbjahr quälen und dann vor der ersten Regatta die Flinte ins Korn schmeißen sollte. Ich entschied mich also, auch um des Chancenerhalts Willen, die beiden wichtigsten Leistungsüberprüfungen, nämlich die Langstrecke Leipzig und die Deutschen Kleinbootmeisterschaften, noch mitzufahren. Rückblickend sind das mit Sicherheit zwei der lehrreichsten Regatten meines Lebens gewesen.

Ich reiste total übermüdet nach Leipzig an. Bevor ich nach der abendlichen Ruderrunde erschöpft in mein Bett fiel, nahm ich meine Kontaktlinsen raus, packte sie in den Einsatz des Behälters mit der Reinigungsflüssigkeit - und vergaß anschließend, den Einsatz in den Behälter zu stellen. Am nächsten morgen waren die Linsen komplett ausgetrocknet. Ich hatte keine Ersatz-Linsen dabei, von einer Brille ganz zu schweigen. Ich verbrachte das Wochenende also quasi im Blindflug.

Für den Ergometertest gab es dieses Jahr erstmalig für alle Bereiche eine Norm, die es zu knacken galt. Zwei Wochen nach dem Trainingslager war ich etwas aus der Übung, was das Ergo anging. Ein neuer Bestwert musste es Dank der Norm ja nicht sein und eine 7:18 schaffe ich inzwischen auch ohne absolute Tagestophöchstform. Und genau so bin ich das Rennen dann auch gefahren: Die ersten 1000m mit einer Durchlaufzeit, die bei konsequenter Beendigung des Rennens auch eine 7:16 hätte werden können, und dann wurde ich immer langsamer. Am Ende stand eine 7:17,5 (wenn ich's richtig im Kopf habe) auf dem Display. Knapp, aber ausreichend. Zufrieden war ich nicht, und das noch nichtmal wegen des Ergebnisses in Zahlen, sondern weil ich das Gefühl nicht loswurde, dass ich das eigentlich besser kann.

Abends stand ich vor dem Training auf dem Steg und mir war alles so fürchterlich egal. Nicht das entspannte, unbelastete Egal. Es war dieses Egal, bei dem die Welt an einem vorbeizuziehen scheint. Irgendwie hat Markus in der Situation noch die passenden Worte gefunden, die mich doch dazu brachten noch ins Boot zu steigen. Erstaunlicherweise machte es sogar Spaß.

Am nächsten Tag dann die Langstrecke im Blindflug. Ich fuhr konzentriert und kam ganz gut vorwärts. Irgendein seltsamer Mechanismus in meinem Kopf schien sich beim Ablegen völlig selbstständig in den Wettkampfmodus geschaltet zu haben. Das Fahren an sich machte sogar richtig Laune und ich stellte fest, dass es gar nicht mal so doof ist, nichts zu sehen - dann muss man sich schon nicht das ganze Rennen den Kopf darüber zermartern, ob die, die hinter einem fährt jetzt rankommt, oder ob man sich seinerseits absetzen kann.

Ich legte an und konnte meinen Trainer nicht finden. Und der hatte meine Jacke mit dem Spindschlüssel. Halb blind, erschöpft und völlig neben mir stehend bin ich auf dem Regattaplatz rumgeirrt. Zum Glück hat Stromi Markus dann einfach angerufen und der konnte mir dann sagen, wo ich meine Jacke finde.

Ich hätte an diesem Nachmittag gerne überall sein wollen, aber nicht auf diesem Regattaplatz. Ich hatte es tatsächlich geschafft, die drittschnellste Zeit zu fahren und dann stand ich da vor dem Treppchen und wollte mich nicht draufstellen. Alle guckten mich an und ich hätte mich am liebsten in Luft aufgelöst.

Am schlimmsten waren die Leute, die mir noch erklären wollten dass ich doch total super gerudert sei. Ich stand stumm daneben und nickte, denn wo hätte ich anfangen sollen mit erzählen?

Das Training in den folgenden drei Wochen war zutiefst unbefriedigend. Einerseits aufgrund der Rahmenbedingungen - es war kalt und windig und außerdem war mal wieder die Reiherstiegschleuse gesperrt, so dass wir für jede Rudereinheit nach Allermöhe fahren mussten. Andererseits ruderte ich so schlecht wie schon seit langem nicht mehr. Nichts gelang mir und keine der Einheiten machte auch nur ansatzweise Spaß.

Am Osterwochenende fand dann der Hamburger "Frühtest" statt - DIE Gelegenheit, vor den Kleinbootmeisterschaften nochmal das Rudern unter Wettkampfbedingungen zu üben. Ich fuhr den Vorlauf, fuhr anschließend nach Hause und schlief zwei Stunden auf dem Sofa. Auch die nächsten Tage blieb mein Boot im Trockenen. Ich war einfach nur völlig fertig. Am Dienstag und Mittwoch stieg ich dann mit etwas frischer Energie wieder für kurze Trainingseinheiten in den Einer. Es lief besser als die vorangegangenen Wochen, aber weit weg von "gut gerudert." Ich war froh, wenn ich nach dem Training nach Hause fahren durfte.

Am Donnerstag ging es dann prompt erstmal damit los, dass wir zwar Boot und Skulls auf das Autodach luden, meine Ausleger aber in Allermöhe liegen ließen. Was ein Glück, dass andere erst später anreisten und sie noch für mich einpackten (Danke, Nils!).

Zum Vorlauf am Freitag hatte ich Glück im Unglück - nach einigen Abmeldungen wurden die Vorläufe nochmal umgesetzt, so dass ich nicht die Gegnerinnenkonstellation abbekam, die anschließend eines der härtesten Firtelfinals abgab. Ich fuhr relativ souverän vorneweg - vom Abstand her - ruderisch war es irgendwie noch nicht das Wahre… Ich hätte nicht gewusst, wie ich einen Spurt hätte fahren sollen aus diesem Streckenschlag heraus.

Das Viertelfinale am Samstag ging meinerseits mit einem leicht verschlafenen Start los, so dass ich mich erst bei Streckenhälfte an meiner Kontrahentin aus Limburg vorbeiarbeiten konnte. Im ersten Streckenviertel hatte ich das Gefühl, gar nicht mit dem Kopf im Boot zu sein. Es war, als würde ich mir das Rennen von außen angucken. Es war letztlich dann ein Arbeitssieg, der mir aber immerhin die schnellste Viertelfinalzeit bescherte.

Auch im Halbfinale, das von der Ansetzung her hart, aber machbar war, kam ich am Start einfach nicht richtig in die Puschen, so dass meine Kontrahentinnen mir mal eben locker ein paar Längen davonfuhren. Viel zu spät realisierte ich, dass ich wirklich Gummi geben musste, um noch ins Finale zu fahren. Mit etwas über einer Sekunde Rückstand auf die Drittplatzierte Schweizerin Ladina Maier musste ich somit Vorlieb mit dem Finale B nehmen. Mein Gott, wie peinlich mir das war! Das letzte Mal war ich 2012 im B-Finale. So hatte ich mir das definitiv nicht vorgestellt. Das Schlimmste war aber definitiv, dass ich aus dem Boot gestiegen bin und überhaupt nicht wusste, ob ich jetzt eigentlich gut oder schlecht gerudert bin oder wo es jetzt genau geklemmt hatte.

Immerhin gab mir das völlig verpatzte Halbfinale nochmal Motivation, im Finale B nochmal richtig Leistung zu zeigen. Die wohlwollende Anerkennung (nebst ehrlichem Bedauern) meines Rückziehers für die Saison seitens des DRV machte mir die Sache mit Sicherheit auch um einiges leichter.

Letztlich gelang es mir dann auch, deutlich vorneweg zu fahren und anschließend eine Zeit auf dem Ergebnis zu lesen, die mich für viele auf dem Platz zur "inoffiziellen Dritten" machte. Letzten Endes fährt man aber meiner Meining nach keine komplettes Qualifikationssystem aus, um anschließend Zeiten zu vergleichen.

Auf jeden Fall haben die beiden Regatten eindrucksvoll bewiesen, dass Rudern trotz aller physischen Voraussetzungen die man so mitbringen muss vor Allem eines ist: Kopfsache!

PS: War letzte Woche zweimal Rudern. Hat Spaß gemacht.

Auf zu neuen Ufern!



English text below

Mein Kollege und ich kommen auf dem Weg zur Kantine an einem Plakat vorbei, dass einem Mitarbeiter zur 50-jährigen Betriebszugehörigkeit gratuliert.
Er: "Das wird von uns wohl keiner schaffen."
Ich: "Also wenn ich bei Airbus bleibe bis ich 68 bin, dann habe ich 49 Jahre."
Er: "Oh Gott, Judith, du musst weg von hier!"

Es begann vor etwa einem Jahr mit einer diffusen Unzufriedenheit. Es ist nicht wirklich so, dass ich meinen Job nicht mag oder dass ich tatsächlich Angst davor hätte, irgendwann mein 50-jähriges Airbus-Jubiläum zu erleben. Es ist mehr dieses Gefühl, dass das noch nicht alles gewesen sein kann, gepaart mit dem Bewusstsein, dass ich alles gegeben habe , was in meiner beruflichen Situation möglich war, und es trotzdem nicht nach Rio geschafft habe.
Ich liebe es, Neues zu lernen. Je komplizierter, desto besser. Aus losem rumgoogeln mit der groben Vorstellung "was mit Statistik" ist im Laufe der Zeit dann "Applied Process Control MSc" an der Newcastle University geworden. Viel Regelungstechnik, eine bisschen Statistik, 3 Trimester ab September 2017. Und eine der besten englischen Uni-Rudermannschaften.
Es klang alles so gut, dass ich tatsächlich mal auf einen Plan B verzichtet habe und nur eine einzige Bewerbung geschrieben habe. Vier Wochen später hatte ich die Zusage.

Und doch blieben noch einige Zweifel, ob das wirklich die richtige Wahl ist, oder ob ich mich habe blenden lassen. Ob ich das Studium mit meinem Bachelor wirklich machen kann?
Nur zu gerne bin ich daher der Einladung von Newcastles Frauen-Rudertrainer Alex Leigh gefolgt, mir Newcastle, die Uni und den Ruderclub einmal vor Ort anzuschauen.

Mein erster Gedanke im Landeanflug: oh mein Gott, die Autos fahren ja wirklich auf der anderen Straßenseite! Auch die nächsten Tage haben einige spannende Neuerungen für mich parat: Ich kämpfe mit den englischen Münzen und den self-checkout Kassen im Supermarkt. Ich versuche zu ergründen, wann man am besten über die Straße läuft (mit den Ampelphasen hat das definitiv nichts zu tun) und nach welchen Regeln ein Netball-Match abläuft. Ich entdecke Scones und Kakao mit Marshmallows für mich. Und lerne viele tolle Menschen kennen, allen voran Charlotte, Steuerfrau und Teamcaptain, und ihre verrückte WG mit sieben Mitbewohnern und einem Dackel. Alle super nett. Das schöne daran, zu siebt zu wohnen, so stelle ich bald fest, ist dass jeder an einem Abend in der Woche mit kochen dran ist, so dass es immer leckeres "House Dinner" gibt, zusammen mit allen Mitbewohnern und diversen Freunden, die spontan reinschneien.

Meinen Besuch habe ich so geplant, dass ich am "Postgraduate Open Day" der Newcastle University teilnehmen dran. Einen Nachmittag lang bin ich also damit beschäftigt, unendlich viele Informationen zu tanken, bis mir fast der Kopf platzt. Ich habe die Gelegenheit, im "Student's Café" mit eine Bulgarischen Studentin zu reden, die schon in Berlin studiert hat und mir ausführlich erklären kann, wo die Unterschiede zwischen deutschen und britischen Unis liegen. Die "Subject Session", die ich gebucht hatte, stellt sich als privates Gespräch mit dem leitenden Professor des Studiengangs heraus, den ich dann eine halbe Stunde lang ausführlich mit Fragen löchern kann, bis ich weiß, wie ich mich fachlich ein bisschen auf die Zeit vorbereiten kann. Auf einer Guided Tour lerne ich den Campus kennen und in einem Gespräch mit dem Postgraduate Admissions Team finde ich endlich heraus, was das Problem mit der Übersetzung meiner Bachelorurkunde ist.

Selbstverständlich verbringe ich auch viel Zeit mir Charlotte, Alex und den anderen Ruderern. Am Mittwoch ist erstmal Krafttraining dran, Donnerstag und Freitag geht es raus auf den Tyne - morgens um 6 bei nachtschwarzer Dunkelheit. Das Einsteigen ins Boot geht hier auch auf die britisch-rudimentäre Art und Weise - ohne Steg und in Gummistiefeln, so wie man das auch vom Boat Race kennt. Die Mädels sind tierisch nervös, mit mir ins Boot zu steigen. Und das obwohl sie eigentlich alle ganz passabel rudern können. Dafür haben sie mir versehentlich erstmal ein Skull mit losem Griff gegeben, so dass ich irgendwann leider einen Krebs fange und anschließend nur noch mit stehendem Blatt rudere, bis Charlotte und Alex mir ein neues paar Skulls holen fahren. Das Training nach Newcasteler Art, so lerne ich in der Praxis und bei einem ausgedehnten Spaziergang mit Alex durch die Stadt, läuft ein bisschen anders als gewohnt: anstatt ausgedehnter Grundlagenausdauereinheiten werden hier eher kurze und intensive Einheiten, oft im Sparringmodus, absolviert.
Im Bootshaus staune ich über sage und schreibe acht Achter und keine einziges Gigboot.

Nach drei bunten und ereignisreichen Tagen steht für mich auf jeden Fall fest: meine Entscheidung für Newcastle war auf jeden Fall die richtige.

Four very British days

My colleague and me are on our way to the canteen and pass by a poster which congratulates to a colleague for being with Airbus for 50 years. 
He: "None of us will ever achieve this." 
Me: "If I'm staying here until I'm 68, I will at least have 49 years. 
He: "Judith, you must go away from here!"

It all started about a year ago with a diffusely disappointed feeling around my stomach. It's not exatly that I do not like my job. But I have always enjoyed learning something new. The more complex, the better. And after three years doing the same job I felt like going for something new. Moreover, I was aware that I had done everything that I possibly could in my current situation to make it to the Rio Olympics, and that there was still a considerable gap between me and the real world-class athletes.

So I started to google and over time, I came from "something with statistics" to Applied Process Control at Newcastle University. A lot of control technicqwue, some statistics, 3 terms startig from Spetember 2017. And a high performance university rowing club along with it.
I did all sound so good that I did discard all potential plan B's and wrote exactly one application. Thanks that, and Paco's masterpiece of a recommendation letter, I was offered a place to study a couple of weeks after.

Still, some doubts remained - was that really all as good as it sounded. And would I really be able to do such a demanding master programme with my material engineering bachelor and having been out of learning for over 3 years.

Fortunately, Alex Leigh, the womens' coach, invited me to come around for a couple of days and get to know Newcastle University and the rowing facilities.

My first thought at the aircrafts' landing approach: Oh my god, the cars are really driving on the other side of the road! The following three days had some more very british moments for me: Struggling with the English coins and the self-checkout cash desks at the supermarket. Me trying to understand the Netball rules by watchin a game and trying to figure out when people are crossing the street (there is definitely no link to the color of the traffic lights). I discover Scones and hot chocolate with marshmallows. And I get to know a lot of friendly and awesome people, amongst them Charlotte, the womens' cox and team manager with her mad house of seven students and one dog. 


I have scheduled my visit for this week to be able to visit the Postgraduate Open Day at Newcastle University. This keeps me busy collecting as much information as possible throughout half a day until my head feels like it is about to explode. I have the opportunity to get introduced to the differences between German and English universities by a Bulgarian student. The "subject session" that I booked beforehand turns out to be a face to face with the professor responsible for the course that I'm applying for. I get to know the campus on a guided tour and get explained what the postgraduate admissions team needs to make my conditional offer unconditional.

I do of course spend a lot of time with Charlotte, Alex and all the other rowers from Newcastle University Boat club. After weightlifting on Wednesday (Thank you, Alex, I had sore muscles until Saturday :-P), I'm able to go out for rowing on river Tyne on Thursday and Friday morning - at half past six and in complete darkness. Entering the boat is performed in the british-rudimentary style everybode knows from The Boat Race: in wellies and without pontoon. The girls are a little nervous about rowing together with me despite all of them are fairly good rowers. The only thing I could critizise is that they could have given me sculls with well fxed handles.

Training in Newcastle that's what I am told and what I experience on the water is fairly different from what I'm used to: less mileage, more sparring. In the boat house, I am astonished about seeing eight eights and not one single gig boat.

After three amazing days, I'm absolutely sure that going to Newcastle is a good decision.

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